Seit der Gründung von Gymglish vor 17 Jahren haben wir sehr aufmerksam den Markt beobachtet, die Tendenzen und Versprechungen des e-Learnings oder der EdTech, wie Bildungstechnologie heute auch genannt wird.
In zwei an Innovationen reichen Jahrzehnten hat der Online-Unterricht von einer Fülle neuer Tools, Formate, Technologien und Inhalte profitieren können. Wie wirken sich diese Neuerungen auf unseren Unterricht aus? Hat das e-Learning der Jahre 2000 seine Versprechen einlösen können? Ein Rückblick auf 20 Jahre Innovation und Experimente.
Das e-Learning der Jahre 2000
Ähnlich wie die Erfindung des Buchdrucks im 15. Jahrhundert gab das Aufkommen des Internets zur Jahrtausendwende in vielerlei Hinsicht Anlass zur Hoffnung auf einen besseren Zugang zu Bildung und kündigte eine Revolutionierung der Wissensvermittlung an. Als wir 2003 mit der Gründung unseres Unternehmens für Online-Englischkurse beschäftigt waren, existierten bereits jede Menge e-Learning-Angebote. Kurse auf CD-ROM, e-Learning“-Plattformen“ und andere Websites mit Unterrichtsressourcen sind bereits sehr verbreitet und bieten einen reichen Schatz an Multimedia-Ressourcen. Im Bereich der Fremdsprachvermittlung machen Englischlernen per Telefon und Tools zur Spracherkennung von sich reden. Auch das gute alte Online-PDF war bereits allgegenwärtig, insbesondere an den Universitäten.
Das Barrieren überwindende und Unterrichtskosten verringernde e-Learning verspricht uns eine Demokratisierung des Unterrichts und endlich wirklich für alle Zugang zur Bildung, zumindest für diejenigen, die einen Internetanschluss haben. In Frankreich wurde für den Bereich der beruflichen Weiterbildung 2005 das so genannte DIF (Persönlicher Anspruch auf Weiterbildung) geschaffen. Die französischen Unternehmen waren ohnehin bereits gesetzlich verpflichtet, in ihrem Budget einen Betrag für die berufliche Weiterbildung auszuweisen. Nunmehr waren sie auch gehalten, dafür zu sorgen, dass dieses Budget mit dem Gegenwert von jährlich 20 Schulungsstunden pro Mitarbeiter*in gleichmäßig unter der gesamten Belegschaft des Unternehmens aufgeteilt wird. Diese Maßnahme förderte das e-Learning, was sich wiederum einen Schub für die Demokratisierung der Bildung bewirkte.
93 % der Lernenden geben spätestens einen Monat nach dem erstmaligen Besuch der Plattform bereits auf.
Die Unterrichtsressourcen im Netz sind zu Beginn des Jahrtausends zwar bereits unerschöpflich, aber sie werden nicht in entsprechendem Umfang genutzt. 2004 erfahren wir von einem Großunternehmen, das eine e-Learning-Plattform für Fremdsprachen geschaffen hat, dass 93 % der Lernenden spätestens einen Monat nach dem erstmaligen Besuch der Plattform bereits aufgeben. Die Plattform ist technisch ausgereift, verfügt über Multimediainhalte und deckt mit ihren Workshops alle Leistungsniveaus der Lernenden ab. Nichtsdestotrotz wird sie von der großen Mehrzahl der Angestellten gemieden. Ein wirkliches Fremdsprachenlernen findet praktisch nicht statt und der Aufwand für das e-Learning wird von dem Unternehmen als Fehlinvestition angesehen. Für uns war die Feststellung, dass nicht ein Mangel an Unterrichtsressourcen vorhanden ist, sondern dass es am Lernen hapert, Ansporn genug, um 2004 Gymglish zu gründen, und zwar mit dem erklärten Ziel, unseren “e-learners“ Motivation, Beharrlichkeit und Fortschritte zu vermitteln.
“EdTech” im Jahr 2022
Fast 20 Jahre später beobachten wir eine Fülle neuer Tools: Podcasts, YouTube und die allgemein weite Verbreitung von Videos, die MOOCs, selbstverständlich die mobilen Apps, in den Unternehmen so genannte LMS (Learning Management System), die Serious games, VR (Virtual Reality), das Peer-to-peer learning, also das Lernen innerhalb eines Netzwerks von Berufskollegen, das micro-learning… eine ganze Welle von Buzzwörtern macht sich breit. Immer mehr neuartige Unternehmen, Technologien, Inhalte und EdTech-Plattformen betreten die Bühne. Insbesondere im Bereich des Englischlernens vergeht keine Woche, in der sich nicht ein neuer Kollege oder eine neue Kollegin, eine neue App, eine neue Website, kostenlose oder zahlungspflichtige Angebote neu hinzugesellen. Es gibt noch mehr Unterrichtsressourcen als 2003, in noch vielfältigeren Medien und Materialien, und nunmehr kann jeder auf sie zugreifen, der ein Smartphone besitzt. Man könnte sagen, 2019 hat schlechterdings jeder die Möglichkeit, online zu lernen. In Analogie zur “offline Welt“ verhält es sich so, als hätte heute jeder von uns eine Bibliothek vor seiner Haustür, die 365 Tage im Jahr rund um die Uhr geöffnet ist, alle Bereiche abdeckt, und zwar in vielen Fällen kostenlos.
Nun garantiert allerdings auch eine Bibliothek vor der Haustür nicht, dass man auch nur ein Quäntchen hinzulernt. Dazu muss man nämlich erst einmal dort hingehen, und zwar regelmäßig, dort die geeigneten Lehrwerke finden, sie lesen und zum Lernen ein zweites Mal lesen, behalten, Fortschritte machen, usw. Wie bereits 2003, übersetzt sich die Verfügbarkeit von Unterrichtsressourcen nicht in Lernerfolge. So verzeichnen beispielsweise die MOOCs, über die in den vergangen 10 Jahren viel gesagt und noch mehr geschrieben wurde, sehr niedrige Erfolgsquoten: Lediglich 5-10 %* der angemeldeten Lernenden folgen der Schulung bis zum Ende, und diejenigen, die sie erfolgreich abschließen, sind in den meisten Fällen ohnehin schon hochqualifiziert. In den Unternehmen sind die LMS allgegenwärtig und besser mit Ressourcen versehen denn je. Und dennoch machen die meisten Mitarbeiter*innen nach wie vor einen weiten Bogen um sie.
Lediglich 5-10 % der angemeldeten Lernenden folgen der Schulung bis zum Ende, und diejenigen, die sie erfolgreich abschließen, sind in den meisten Fällen ohnehin schon hochqualifiziert.
Offenbar profitiert weltweit nur eine exklusive Minderheit von der Innovation des e-Learning: nämlich die bereits gut ausgebildeten Lernenden. Coursera oder Udacity etwa, mit ihren zahlreichen MOOCs, gelingt es nur unter großen Anstrengungen, ein Publikum anzusprechen, das über ihre Kernzielgruppe der Programmierung studierenden Ingenieur*innen hinausgeht. Die in der Presse berichteten Lernerfolge dank e-Learning stehen für gewöhnlich in Zusammenhang mit renommierten Universitäten und Talentschmieden für Ingenieur*innen, Führungskräfte und Topmanager*innen. Es macht den Eindruck, als wenn von zwei Jahrzehnten EdTech Innovationen weltweit nur eine Handvoll “Musterschüler*innen“ profitiert hätte – diejenigen, die bereits im Jahr 2000 nicht als bildungsfern zu bezeichnen waren und die schon seinerzeit kein Problem damit hatten, mit einem Online-PDF zu arbeiten.
Wenn man einmal von dieser kleinen Elite zielbewusster Studierenden absieht und den Blick auf ein Publikum richtet, das Englisch lernen möchte, um sich beruflich zu verbessern, oder Rechtschreibung pauken, um nicht bei der Jobsuche benachteiligt zu werden, sind die Berichte von positiven Erfahrungen relativ dünn gesät. Nicht weil es an Ressourcen fehlte, sondern weil das Engagement und somit der Lernfortschritt häufig auf der Strecke bleiben.
Dies wird von einer Reihe Wirtschaftswissenschaftler*innen und Soziolog*innen bestätigt. Wenn sich die Schere zwischen Wohlhabenden und finanziell Benachteiligten in den vergangenen Jahrzehnten weiter geöffnet hat, dann haben sich auch im Zugang zu Kultur und Bildung Gräben aufgetan. Dies gibt Anlass zur Sorge, denn damit verstärkt sich der Teufelskreis noch. Obwohl Bildung anerkanntermaßen ein Motor für mehr Chancengleichheit ist, wird sie auch in Zeiten des e-Learnings und seiner vielen Innovationen dieser Aufgabe nicht gerecht.
e-Learning – Herausforderungen im Jahr 2022
Wie kann man von den fruchtbaren Innovationen der EdTech zu einer besseren, tatsächlich für alle zugänglichen Bildung gelangen und ergebnisorientiertes Lernen fördern?
Bei Gymglish entwickeln wir unsere Sprachkurse seit 15 Jahren methodisch immer weiter, wobei wir auf eine Kombination von Inhalten und Technologien setzen: micro-learning (tägliche Sitzungen von 10-15 Minuten) als push im Netz oder auf Mobilgeräten; Adaptive Learning (persönliche Anpassung der Methodik an die Lernenden und Wiederholungen zur Verbesserung der Behaltensleistung); Spaced Learning (oder Wiederholung in bestimmten Abständen); aber auch Filmszenen, kulturelle, humoristische und verblüffende Inhalte, um die Motivation und so die Ausdauer zu stärken. Wir achten bei der Erstellung unserer Inhalte neben dem rein pädagogischen Anspruch sehr sorgfältig darauf, sie mit einer leistungsfähigen Technik zu kombinieren. Dies ist nicht der einzige mögliche Ansatz, und er ist auch nicht für jede Lernerpersönlichkeit geeignet. Aber lassen wir Zahlen sprechen: Wir haben in 15 Jahren mehr als 4 Millionen Benutzer*innen begleitet, wobei die Abbrecherquote bei lang dauernden Kursformaten (9 Monate in Unternehmen, 18 Monate für Privatkunden) im Schnitt lediglich 20 % betrug.
Neben der Gymglish-Methode erscheinen uns “hybride” Methoden (Blended Learning) sehr leistungsfähig, die darin bestehen, eine Online-Erfahrung durch einen Tutor oder Coach zu ergänzen, wie dies beispielsweise von OpenClassrooms praktiziert wird; das Ziel ist, hinter dem Bildschirm eine Art kollektiver Dynamik zu erzeugen, wozu zwischen den Online-Sitzungen virtuelle Zusammenkünfte mit anderen Kursteilnehmer*innen, Expert*innen und Lehrer*innen eingestreut werden, wie dies zum Beispiel bei altMBA in den USA gemacht wird. Beim Unterricht mit vertauschten Rollen (flipped classroom) übernimmt das e-Learning den Anteil der direkten Wissensvermittlung, sodass die kostbare Zeit des Lehrers beziehungsweise der Lehrerin dem Austausch, der Vertiefung und dem Dialog vorbehalten bleibt. Was die Formate angeht, empfehlen wir angesichts der rasanten Entwicklung des Smartphones, verstärkt auf kürzere Inhalte mit einer spielerischen, unterhaltsamen Orientierung zu setzen.
Unserer Erfahrung nach ist es dringend geboten, der Benutzererfahrung mehr Bedeutung beizumessen, oder anders gesagt, der Benutzerin und dem Benutzer selbst. Im Ausgleich lässt sich etwas weniger Konzentration auf die Ausführlichkeit der Materialien und die technische Perfektionierung der Unterrichtsmittel durchaus verschmerzen. Der Terminplan platzt aus allen Nähten und man kann nicht immer Disziplin aufbringen. Kinder wie Erwachsene bleiben vor ihren Bildschirmen nicht sehr lange konzentriert, umso weniger, wenn es sich um Lerninhalte auf einem kleinen Telefon-Display handelt. Die Lernenden sind immer weniger geneigt, ihre Lernanstrengungen langfristig regelmäßig zu wiederholen, was allerdings nicht nur für das Lernen, sondern auch das Behalten des Gelernten unabdingbar ist. Das Internet, technische Neuerungen, Künstliche Intelligenz, die neuen Formate sind alles großartige Weiterentwicklungen, und wir haben bereits eine ganze Menge Erfahrungen gesammelt, wie wir sie nutzen können. Das Vorhandensein von Ressourcen und Technologien reicht jedoch nicht aus.
Den Benutzer*innen mehr Bedeutung einzuräumen bedeutet, sich daran zu erinnern, dass sie Menschen sind, die nicht unbedingt mit der Lernleistung von Harvard- oder Oxford-Student*innen gesegnet sind und die Lernen online wie offline oft genug als unangenehm empfinden. Stellt man die sehr menschlichen und somit sehr unperfekten Benutzer*innen in den Mittelpunkt, besitzen Innovationen ein großes Potenzial für eine Öffnung der Bildung und die Verringerung von Ungleichheit. Freuen wir uns also darüber, dass wir im Rahmen unserer Möglichkeiten zur Demokratisierung der Bildung beigetragen haben, die uns das e-Learning seit Beginn des Jahrtausends verspricht.
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